Bewusst lasse ich mich nicht dazu verleiten, den Titel dieses Beitrages „die perfekte Welle“ zu nennen, denn das wäre schlicht unpassend gewesen. Angela hat das „Ereignis“ schon erwähnt (Klick) und ich möchte das noch genauer beschreiben.
Nachtrag: Ich habe einen kleinen Film dazu Klack
Wir fuhren von Schleimünde quer über die westliche Ostsee Richtung Heiligenhafen, Kurs ca. 110 Grad. Die See war wirklich weitestgehend glatt und ruhig. Die von Nordwesten kommende Dünung hatte sich beruhigt und war nicht mal einen halben Meter hoch. Windsee gab es bei den schwachen Winden kaum. Wir hatten unsere Fock eigentlich nur als Stützsegel draußen, damit die Slocum in der Dünung nicht so stark rollt. Backbord fuhr in einiger Entfernung ein Küstenwachschiff vorbei, dann waren wir wieder allein. Und wie wir so über die linke Schulter Richtung Norden schauen, sehen wir eine größere Welle auf uns zurollen. Wir kennen diese Art von Wellen: Wenn die riesigen Frachter, Tanker und Containerschiffe auf Weser, Elbe, Jade oder NOK an einem vorbeifahren, dann ziehen die auch immer einen gewaltigen Schleier von Heckwellen mit sich. Aber das hier war anders.
Aus der Entfernung schätzte ich die deutlich unter einen Meter hoch. Doch die Kämme brachen sich weiß beim heranrollen. Also war es eine sehr „kurze“ Welle, nicht so wie die Dünung, welche flach und lang daherkommt. Eigentlich konnte man diese eine Welle nur deswegen erkennen: Die Unterseite war dunkel vom Schatten des Wellenkamms, der sich scheinbar langsam aufrollte und dann brach. Unten dunkel und oben sehr hell. Ich nahm zunächst an, dass wäre die spät nachlaufende Heckwelle der Küstenwache und holte mir Angelas Zustimmung: „Die können wir doch nehmen wie sie kommt? Ausreiten statt ausweichen?“. Sie bestätigte meine Gedankenspiele.
Aber irgendwas stimmte nicht. Wie sie näher kam (schneller als man dachte) merke man auch, dass sie viel größer war als die üblichen von Schiffen verursachten Wellen. Und sie war allein. Keine weiteren Wellen dahinter, nicht mal kleine oder so. Auf einem breiten Streifen von einigen hundert Metern rollte diese Welle auf uns zu, als wenn auf Lolland ein Riese einmal kräftig mit der Hand aufs Wasser gepatscht hätte. Und sie war hoch. Wir mussten handeln. Es gab zwei Möglichkeiten: Rein in die Welle oder weg davon und sie von hinten durchlaufen lassen. Das einzige, was nicht ging: Nichts machen. Das hätte fatale Folgen. Bei den üblichen Heckwellen kenne ich es so, dass man in sie hinein lenkt und quasi 90 Grad nimmt. So kann das Boot nicht zur Seite kippen und man hat es schneller hinter sich. Wenn man in die andere Richtung fährt ist es, logischerweise, anders rum: Natürlich kippt man auch nicht über die Seite, aber es dauert länger. Eine sehr große Welle könnte auch brechen, bevor sie das Boot erreicht und das Cockpit (mit uns darin) überspülen. Bei diesen Gedanken sollte man daran denken, dass 1000 Liter Wasser eine Tonne wiegen… ich drehte nach Backbord, um die Welle frontal zu nehmen, Angela schmiss Jacken, Kissen etc. nach unten in die Kajüte und zog das Luk dicht.. Die Welle selbst war vielleicht 1,5 Meter hoch… sehr schwer zu schätzen, aber größere Wellen hatte ich bisher (zum Glück) selten erlebt. Der Bug unserer Slocum wurde steil empor gehoben, irgendwann durchschnitt unser scharfes Vorschiff den Wellenkamm, die Welle lief unter dem Boot durch und hob langsam das Heck an.
Für eine ewig lange Sekunde schwebte unser Vorschiff scheinbar in der Luft, rechts und links verschwand das Wasser neben uns! Hinter diesem Wellenberg war ein tiefes Wellental, welches die vorher geschätzte Höhe nun vielleicht noch verdoppelte. Nun stürzte der Bug – von nichts mehr gehalten – hinab und knallte mit lautem Getöse bald auf das Wasser, unterschnitt die Wasserlinie und schaufelte jede Menge Wasser aufs Deck. Wir machten einen kleinen ungewollten Hopser, während wir uns krampfhaft irgendwo festhielten. Erster schneller Rundumblick: Alles okay. Wir sahen uns das viele Wasser an, welches sich nun auf dem Achterschiff tummelte und gar nicht schnell genug durch die Speigatten ablaufen konnte. Ich ging wieder auf Kurs und aktivierte „Andreas“, unseren Pinnenpiloten, erneut. Nun konnte ich der Welle hinterher blicken. Ungebremst rollte sie weiter und wir waren für sie nicht mehr als ein Stück Treibholz, dass sie nicht aufhält.
Angela erwähnte ja den Anker… bis man darauf kommt! Wir hörten nur ein unregelmässiges Klopfen und konnten das nicht orten. War es irgendwas, das in Backskiste oder sonst wo hin und her rollte? Bis ich auf die Idee kam, nach dem Anker zu sehen: Der hing mit anderthalb Meter Kette Backbord außen und schlug immer wieder gegen den Rumpf. Glatt aus seiner Halterung raus genommen. Und das ist mit der Hand verdammt schwer zu schaffen…
Hätten wir diese Welle nicht bemerkt… ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre. Wir hätten über Bord gehen können! Mit Sicherheit wäre unser Schiff flach auf die Seite gedrückt worden, vielleicht bis der Mast (und das Segel) das Wasser berühren und dann würde nur noch die Physik entscheiden, was weiter passiert: Ist unser Kiel schwer genug, dieses Moment schnell auszugleichen, auch wenn das Segel voll Wasser läuft? Seeleute sind selten Atheisten.