Wir segelten also gen Osten, es ist noch sonniger Nachmittag. Terschelling zieht an uns vorbei, dann kommt Ameland. Woran merkt man nun, dass Frühling ist? An der Temperatur mal nicht, aber: Die Tage werden länger.
Angela möchte gern in den Sonnenaufgang segeln. Sie wird also die letzte Wache von 3 bis 6 Uhr machen. Mir war klar: Man kann nicht „nur für die Nacht“ eine Wacheinteilung haben. Sinnvollerweise gilt so eine Einteilung dann auch den Tag über. Meine Wache sollte von 21 bis 24 Uhr gehen. Aber wir standen schon ab 19:00 Uhr hinterm Rad, hielten Ausguck etc. Die anderen verkrochen sich langsam, wollten vorschlafen. Na, was solls. Es war schönes Segeln, nur eben sehr kalt.
Zum Glück sorgten Wind und Wolken dafür, das uns nicht langweilig wurde. Zunächst die Wolken: Vor uns liefen von Nord nach Süd dunkle Wolkenbänder, aus denen man es regnen sehen konnte. Meine praktisch noch etwas unerfahrene aber durchaus tüchtige Mitseglerin bat mich um eine Einschätzung. Ich legte mich fest: „Denen begegnen wir nicht mehr, die sind leer oder vorbei, wenn wir dort sind!“ Und ich sollte zu 95% Recht behalten.
Alle Vorhersagen waren sich einig, dass der Wind jetzt bald auf West drehen sollte. Aber er blieb beharrlich auf Nord, eher noch mit einer Ost-Tendenz. Dafür wurde er schwächer. Wir bewunderten gerade den aufkommenden Sternenhimmel, hinter unserem Heck stand Orion überm Horizont. Leider konnte Anne das nicht richtig wahrnehmen, immer war irgendwie der Geräteträger im Weg und sie einen Kopf kleiner als ich. Plötzlich hörten wir ein Flappen auf dem Vorschiff. Der Wind schlief gerade komplett ein. Aber es gab noch immer eine schräg achterliche Dünung, die das Boot gut in Bewegung hielt. Der Radpilot versuchte zu korrigieren, kam offenbar durcheinander und wir fuhren eine Wende. Das Vorsegel stand back und wir machten wieder dreieinhalb Knoten Fahrt. In die falsche Richtung. Dafür konnten wir gemeinsam mit freier Sicht das schöne Orion-Sternbild über dem Bug geniessen.
Genug der Idylle, wir sollten handeln. Konsequenterweise könnten wir einfach einen Vollkreis und damit eine Halse machen und wären wieder auf altem Kurs. Wir zogen es aber vor, das Vorsegel erstmal auf die „richtige“ Seite zu holen und dann wieder eine vollständige Wende zu fahren. Die Bootsbewegungen wären so vermutlich ruhiger und die schlafende Crew würde nicht so gestört. Der Wind hatte nicht gedreht. In der Tat erfuhren wir am nächsten Morgen, dass keiner unsere Kreisfahrt mitbekommen hatte, ausser die Skipperin, die irgendwas allwissendes vor sich hin murmelte. Anschliessend kam der Eisregen. Die fehlenden 5 Prozent meiner Prognose. Gut, das ich Brillenträger bin. Es ist wirklich ein Erlebnis, am Rad zu stehen und den winterlichen Wettergegebenheiten mehr oder weniger ausgeliefert zu sein. Immerhin halten die scharfen, kalten Piekser einen frisch und wach.
Dann wurde es Null Uhr, unsere Wache endete. Als nächstes war die Skipperin dran. Den Kurs mussten wir zwischendurch bis auf 083 abfallen lassen, konnten dann aber auch wieder bis 060 – 064 anluven. Meine Wachkameradin hatte so praktisch gelernt, was es bedeutet, Höhe zu gewinnen, weil man das ggf. später nicht mehr kann.
Ich kroch in die Koje zu meiner Frau. Wir hatten zwar die Steuerbord-Vorschiffs-Koje, aber ganz so vorschiffig war die zum Glück gar nicht. Ganz vorn im Bug ist noch eine Kabine, welche man nur von Deck aus erreicht. Mit Toilette und allem.
Dennoch war hier das Stampfen des Rumpfes deutlich zu merken, wir lagen ja vor dem Mast. Aber wir legten uns quer in die Koje, verkeilten uns etwas und genossen den warmen Schlafsack samt kuscheliger Wolldecke (sollte man immer im Gepäck haben!). Drei Stunden später schälte sich meine Herzallerliebste zu ihrer Wache aus dem Schlafsack und ich musste mich ab jetzt selbst warm halten. Nochmal drei Stunden später kam sie an die Koje und bat mich, aufzustehen. Ich klaute mir noch zehn wärmende Minuten, stand dann auf, machte mich im Bad frisch (der Wind schien fast eingeschlafen zu sein, das Boot machte nur romantische Bewegungen) und fing an, in all meine Klamotten zu schlüpfen.
Nun war „offiziell“ der 02.04.2022 und es schien ganz so, als wenn es ein sonniger Tag werden sollte. Wir mussten noch ein paar Meilen auf Kurs bleiben, bis wir durch den Schluchter fahren wollten. Ab dort ging ich wieder ans Rad. Es war halbe Tide durch, also keine drei Stunden mehr bis Hochwasser Norderney. Die Wassertiefen sollten also auch für unsere 2,20m Tiefgang reichen. Man musste nur aufpassen, sich durch das auflaufende Wasser nicht vom Tonnenstrich wegdrücken zu lassen. Immer wieder checkte ich nicht nur unseren Kurs zur nächsten kommende Tonne sondern auch die hinter uns, um immer genug vorzuhalten. Von der Schluchter-Ansteuerung hört man immer wieder abenteuerliche Geschichten, da wollten wir nichts ergänzen.
Es ging natürlich alles gut. Wir bogen ins Hauptfahrwasser ein, ich folgte dem Tonnenstrich zum Hafen und ich ließ auch noch die aufkommende Fähre in Ruhe passieren. hatte mir schon vorher überlegt, mit unserer 15m-Yacht einfach ans Kopfende des Steges zu gehen. Voll wird es schon nicht sein. Natürlich nicht: Ein großes Motorboot lag weiter vorn, sonst nur zwei ganz kleine Mobos. Der Hafenmeister (heisst er nicht Bibo?) erzählte uns später, dass die Stege erst gestern ins Wasser kamen. Passt doch!
Ich fuhr auf die Mitte des Steges zu, drehte knapp davor das Ruder hart Backbord und mit dem Restschwung glitten wir seitlich an den Schlengel. Ich gab noch kurz Schub rückwärts, wollte aber dem Radeffekt keine Chance geben. Mittel- und Vorleine kamen rüber, dann die Heckleine: Wir waren fest. Es war jetzt kurz nach halb zwei. Der Törn war ziemlich genau 100sm lang und wir haben knapp 24 Stunden gebraucht. Für einige an Bord war es die erste Nachfahrt, wir hatten einen Grund zum Feiern. Das konnten wir auch, denn am nächsten Tag sollte es richtig stürmen und wir würden das hier im Hafen abwettern.
Teil 4 (vermutlich der letzte) folgt bald
(Hinweis: Die einzelnen Beiträge dieses Törns erscheinen etwas ausführlicher auch im Blog des Segeln-Forums)