Der Bordarzt

Ein ernstes Thema: Wenn man längere Fahrten auf See macht, dann muss man damit rechnen, dass sich mal jemand verletzt oder krank wird. Und spätestens dann ist guter Rat teuer. Selbst bei kürzeren Fahrten kann es Verletzungen geben, die ein schnelles Handeln erfordern. Ein umgeknickter Fuss, ein zwischen Tampen  und Winsch gequetschter Finger, Baum mit Schwung an den Kopf… will man alles nicht, aber: Kann passieren!

Und dann? Mal eben googlen ist auf See nicht immer möglich, und ohne Mobil-Netz kann man auch nicht schnell seinen Hausarzt per WhatsApp etc. um Tipps bitten. Was ich zunächst jedem ans Herz legen möchte: Macht doch mal wieder einen Erste-Hilfe-Kurs! Mal ehrlich: War euer letzter Kurs der wegen dem Führerschein? Frischt euer Wissen auf, denn das kann man immer gebrauchen, nicht nur beim Segeln! Angela und ich hatten mal eine Schulung, die speziell auf Sportbootfahrer ausgerichtet war. Das war ein Teil von unserem Training „Überleben in See“ (auch sehr empfehlenswert).
Der Vollständigkeit halber möchte ich eine weitere Option nennen: Hat man Funk an Bord (und ich finde, es gibt keinen Grund, das nicht zu haben), dann kann man über Kanal 16 und Bremen Rescue einen so genannten Medico-Call (TMAS, Stadtkrankenhaus Cuxhaven) anfordern. Da wird dann am anderen Ende der „Leitung“ ein Arzt sitzen und dich fragen und anweisen, was los ist und was du tun kannst. Das ist eine gute Sache, die sicher schon Leben gerettet hat.

Aber auch nicht lebensbedrohliche Verletzungen bedürfen einer Behandlung. Ich als Laie habe dann stets die Befürchtung, genau das falsche zu tun bzw. keine korrekte Diagnose stellen zu können. Doch diese Zweifel werden in zeitgemäßen Erste Hilfe-Seminaren gleich weggewischt: Machen! Nix machen hilft garantiert nicht, dann lieber „irgendwas“. Und aber um nicht ganz ratlos dazustehen, hat sich passende Literatur bewährt. Aber, wer hätte es gedacht: Es gibt unzählige Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Man kann doch nicht alle lesen? Da helfen nur Tipps von anderer Seite weiter.
Wir haben etliche maritime Bücher hier, eines davon heisst „Checklisten für Fahrtensegler“ und wird sogar von Trans Ocean empfohlen. In der Liste bzgl. Gesundheit an Bord werden gleich sieben verschiedene Bücher empfohlen. Der letzte dort genannte Titel verspricht am meisten: „Wo es keinen Arzt gibt“. Ja, sowas will man doch! Da habe ich gleich beim großen A geschaut, ob ich das käuflich erwerben kann. Beworben wird dort das Buch immerhin mit den Worten: „Deutsche Ausgabe des mittlerweile in über 100 Sprachen übersetzten Ratgebers “Where There is No Doctor”“, das will doch was heissen!
Doch ich lese ja auch stets die Rezensionen, und da wurde ich stutzig. Zwischen den üblichen Lob-Einzeilern las man auch immer wieder harte Kritik. Eine will ich beispielhaft hier zitieren, auch wenn sie länger ist (ich habe sie leicht gekürzt):

Dieses Buch ist für Entwicklungsländer geschrieben, (…). Als Mittel zur Heilung empfiehlt der Autor praktisch die Gabe von Kopfschmerztabletten und vor Allem nur Antibiotika (…). Wer hat diese Medikamente im Notfall zur Hand? Und bei schlimmeren Beschwerden und Verletzungen kommt dann immer der Satz: „Sofort einen Arzt aufsuchen“. Ich denke der Titel heißt : Wo es keinen Arzt gibt? Wie soll man dann einen Arzt aufsuchen??? Es gibt in diesen Fällen auch keinen weiteren Hinweis mehr auf alternative Notmaßnahmen.
Der Autor hat keine Ahnung von provisorischen Hilfsmitteln, von Naturheilmitteln, von alternativen Möglichkeiten. (…) Er ist völlig unerfahren mit dem beschriebenen Thema. Und immer wieder Impfen, impfen, impfen. Die Diagnose mag noch nützlich sein, aber danach gibt es nicht mehr viel Brauchbares.
Dieses Buch kann man sich sparen!

Also das kaufe ich dann doch nicht, ich glaube solchen Kommentaren. Na gut, in der Liste sind ja noch sechs weitere Empfehlungen, die guck ich mir „irgendwann“ mal an.

Und dann war ich auf der Obadja und saß in der Navi-Ecke. Ich warf einen Blick in das sehr übersichtliche Bücher-Schapp. Dort stand ein kleines, dünnes Büchlein, Titel „Der Bordarzt“. Während Olivier uns im Cockpit über die Weser schaukelte, warf ich ein Blick hinein. Gleich auf Seite 5, nach Inhaltsverzeichnis und Vorwort, kam ein Abschnitt, der mich überzeugte, genau das richtige Buch in der Hand zu halten. Ich zitiere wieder:

… Ich habe das Buch so aufgebaut, dass Sie nur die Seite aufzuschlagen brauchen, auf der der betroffene Körperteil beschrieben ist. Dort finden Sie Hinweise für die Diagnose und die notwendigen Maßnahmen.

Klasse! Das will man! Und ein Durchblättern bestätigt auch die Aussage. Dazu viele sehr hilfreiche Zeichnungen und Skizzen in fast schon erschreckender Ernsthaftigkeit (ich lese und sehe eigentlich nicht gern was über Krankenheiten, weil ich das dann so Zeno Cosini-mäßig auch gleich bei mir verspüre). Aber dieses Buch soll ja nicht unterhalten, es soll helfen! Hinter den ausführlichen Körperteil-Kapiteln kommen noch Hinweise auf Dinge wie Anfälle, Diabetes, Ertrinken, Erfrierungen, Bißwunden etc. und sogar die Geburt. Dann noch Tipps zum Transport von Verletzten und im Anhang noch was über Medikamente und Erste Hilfe-Taschen. Alles drin, wie mir scheint, aber nichts zu viel! Und alles ohne erhobenen Zeigefinger oder „das muss ein Arzt entscheiden“ etc.

Ich habe das Exemplar natürlich an Bord der Obadja gelassen und konnte mir ein gebrauchtes Exemplar ergattern. Aus irgend einem seltsamen Grund gibt es offenbar keine aktuelle Auflage. Da heisst es für den, der jetzt neugierig wurde: Schnell sein, es werden gerade nicht sehr viele angeboten!

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